Eine Suche nach den wilden Pferden bringt meistens eine Spannung mit sich. Die halbwilden Pferde im Schutzgebiet Pape zu finden, ist jedoch kein Abenteuer. Herr Mednis, der Leiter des Pape-Naturparks, fährt uns mit seinem Jeep ins Schutzgebiet direkt zu den Koniks Polski. Einige Dutzend Tiere weiden auf einem großen Waldfleck mit sattgrünem Gras. Ganz nahe liegen die dunkelroten Wildrinder. Die „Landung“ der zweibeinigen Gäste beachten die Tiere nicht. Die Pferde schreiten langsam, aber stetig vorwärts, und grasen so gründlich, wie ein Rasenmäher mäht.
Die kleinen, genügsamen Pferde haben meistens eine mausgraue Farbe, einen Aalstrich auf dem Rücken und Zebrastreifen an den Beinen. „Das Paradies der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde, …“, schoss es mir durch den Kopf.
Seit zwölf Jahren liegt das Glück dieser Landschaft auf dem Rücken der halbwilden Tiere. Im Gebiet rund um den circa 1200 ha großen Pape-See wechseln sich Feuchtwiesen mit Waldflächen, Küstenlagunen, Mooren, Sandstränden und Wanderdünen ab. Jedes Jahr ziehen Millionen von Zugvögeln und Tausende von Zug-Fledermäusen durch den schmalen Landstrich zwischen dem Pape-See und der Ostsee. Auch viele Wölfe, Luchse, Otter, Biber und Elche suchen die Ruhe dieser Gegend. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden Kolchosen aufgelöst oder gingen Pleite. Mit dem Rückgang der Landwirtschaft drohten die brachliegenden Flächen vom vordringenden Wald überwuchert zu werden.
„Vor Jahrhunderten grasten Pferde und andere Pflanzenfresser hier und bewahrten so das Gleichgewicht zwischen Wald und offenem Grasland“, sagt Herr Mednis, ein der Leiter des Pape-See-Projektes. „Also beschlossen wir, die Arbeit der Bauern den wildlebenden großen Pflanzenfressern zu überlassen.“ Dafür wurden 1999 im Rahmen eines WWF-Projekts achtzehn halbwilde Koniks Polski aus den Niederlanden in der Region ausgesetzt. Nun zählt man 87 Koniks auf dem 426-Hektar-Territorium. „Die Architekten der Landschaft, so nenne ich sie“, sagt der 36-jährige Lette strahlend. Die Pferde, als ob sie es gehört hätten, heben ihre Köpfe mit den blonden Strähnchen in den dunklen Mähnen, schütteln die Schöpfen mit vielen Kletten und fressen weiter.
Die Abstammung des Koniks geht auf das eigentliche europäische Wildpferd, den mausgrauen Tarpan, zurück, das in den Lichtungen, Kahlschlägen und Wiesen Mitteleuropas noch bis ins 18. Jahrhunderts weit verbreitet war. Aber gegen 1780 wurden die letzten wildlebenden Tarpane eingefangen und in den Zwierzynic in Süd-Ost-Polen gebracht. Als 1806 der Wildpark geschlossen wurde, wurden die Waldtarpane an Bauern verschenkt. Die Bauern nutzten die Tarpane als Arbeitstiere und kreuzten die domestizierten Wildlinge mit den Hauspferden. Trotz der Einkreuzung behielten die Nachfahren jedoch dominante Eigenschaften und Aussehen der ehemals wilden Vorfahren. Dies legte dem Professor Vetulani von der Universität Krakau den Gedanken nahe, den Tarpan zurückzuzüchten. Dazu suchte er die Pferde aus, die dem Tarpan ähnelten, und züchtete die Tiere in einem Gehege. Herr Prof. Vetulani führte den Namen „Konik Polski“ („Konik“ = kleines Pferdchen) zur offiziellen Bezeichnung für diese Rasse ein.
Seit der 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts ist der Konik in Polen und auch in den Niederlanden am Naturschutz beteiligt. Heute ist Holland die Heimat von mehr als der Hälfte der weltweiten Population der Koniks, die auf etwa 2500 Exemplare geschätzt wird. Ihre Höhe ist 1,25–1,35 cm, sie sind stark, ausdauernd und außerordentlich robust. Im Winter besitzen sie ein warmes Winterfell sowie eine dicke Fettschicht, die sie vor dem kalten Wind schützen. Im Gegensatz zu Hauspferden überleben die Koniks ohne menschliche Hilfe das ganze Jahr hindurch.
Die friedlichen, keinesfalls feigen Pferdchen faszinieren uns. Ihrem Charme können wir uns nicht entziehen.
„Meiden die Pferde die Inzucht in der Herde?“, fragt Herr Mednis rhetorisch und beantwortet auch gleich selbst: „Ja, vieles spricht dafür, dass die Pferde in der Lage sind, selbst die Größe der Pferdepopulation im Schutzgebiet zu kontrollieren.“ Das richtet sich ganz danach, ob das Futterangebot groß genug ist. Im Misserntejahr versuchen die jungen Hengste, die gefohlten Stuten von ihren Fohlen wegzujagen. „Die erfahrene Mutter-Stute schlägt die Angriffe zurück und lässt nicht ihr Fohlen im Sticht“, erklärt der Leiter des Schutzgebiets. „Die junge Stute hat keine Chance, ihr Kind zu retten.“ Übersteht das Kleine allein die ersten Tage oder findet es die Menschen, die das Fohlen zum eigenen Hof mitnehmen, bleibt es am Leben.
Die Sonne ist heiß. Am Rand des Waldes steht ein Riesenbaum. Es scheint, dass er eigens dafür aufwuchs, um den Koniks in der Hitze das Obdach zu gewähren. Die Tiere haben Fiesta. Wir haben auch so und fahren wir zu dem Sommerhaus des Herrn Mednis. Kaum steige ich ab, sehe ich vier Koniks. Herr Mednis erklärt, dass er im kalten Frühling des vorigen Jahres den Hengsten das Leben rettete. „In Kürze bringe ich die Pferde in den Naturpark“, sagt der Koniks-Besitzer. Die ausdrucksvollen Augen der Pferde starren mich an, ihre Ohren spielen trotzdem unaufhörlich. Ich bemerke, dass der Boden des Grundstücks um das Sommerhaus herum sehr gut gepflegt ist. Die Pferdchen machen ihre Arbeit mit gutem Erfolg.