Frau Schmidt aus einem Vorort von Göttingen ist Knall auf Fall zur Pferdebesitzerin geworden. Der Direktor eines Wandercircus schenkte ihr zwei Circus-Pferde, die er eigentlich schon zum Abdecker bringen wollte. Als sie die Pferde in einem Laufstall untergebracht hatte, „konnten die Tiere keine Minute lang still stehen, sie liefen monatelang nur im Kreis“.
„Daraus darf man aber keinesfalls schließen, dass es allen Circus-Pferden schlecht geht“, sagt Klaus Zeeb, der Professor für Tierverhaltensforschung, der stets die Darstellung der positiven Mensch-Tier-Beziehung in den Vordergrund stellt. Als Beispiele für vorbildliche Pferdehaltung nennt er den Circus Krone in Deutschland und den Circus Gebrüder Knie in der Schweiz, mit denen er schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet.
Wir besuchen die große Circus-Stadt Krone. 30 Minuten vor Show. Tiefe Stille herrscht in Zeltstraßen. Vor einem der Wohnwagen steht Makharbek Kanukov, ein mittelgroßer, kräftig gebauter Mann in den Fünfzigern mit schneeweißen Haaren. Er ist der Chef der Dshigit-Gruppe „Iriston“ aus Nordossetien . Alles an ihm strahlt. Nur der Glanz seiner graublauen Augen scheint getrübt zu sein.
Am frühen Morgen hatte Circus einen Besuch vom Stadtveterinär erhalten. Seit dem ist Herr Kanukov ganz bestürzt: Der Tierarzt hatte den Eindruck, seine Pferde würden sich langweilen und riet ihm, immer zwei Hengste je Box zu stellen.
„Je zwei pro Box, … DIESE Hengste?!“, stöhnt Kanukov. Traditionsgemäß arbeiten im Circus ausschließlich Hengste; obendrein sind Kanukovs Tiere nicht an Gruppenhaltung gewöhnt, wodurch es für die Pferde ein sehr hohes Verletzungsrisiko besteht.
„Im Moment kann ich bestenfalls auf einen Tipp zurückgreifen, den ich mal bekommen habe: gegen Langweile eines 18-jährigen Hengstes, der kein Teamplayer war, ein großes Poster von einem Pferd in seiner Box aufzuhängen“, sagt Herr Kanukov.
Bereits seit 15 Jahren arbeitet er mit der Gruppe, die sich unter seinem Kommando unentwegt entwickelt, aber es auch gleichzeitig schafft die traditionelle Grundidee sowie die kunstvollen und die geschicktesten Tricks des alten Programms zu pflegen.Die jungen Kunstreiter der Truppe „Iriston“ galoppieren in atemberaubender Rasanz durch die Manege des Circus und wetteifern mit draufgängerischen Kunststücken, die sie mit Komponenten aus ossetischen oder arabischen Volkstanzen verbinden, um die Aufmerksamkeit des Publikums. Die verwegenen Dshigite hängen am Bauch ihrer Pferde, greifen in vollem Galopp Tücher von Boden oder schwingen sich in einer 360-Grad-Pirouette rund um den Rumpf der Pferde. Sie bauen Menschen-Pyramiden auf Pferderücken und machen Saltos. Der gefeierte Abschlussstrick „Salto Mortale“, den Murat Kanukov auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes vorführt, ist einmalig auf der Welt.
Die Dshigiten werden in den Choreographie Schulen Ossetiens ausgebildet: „Körperspannung und die richtige Körperhaltung sind das A und O bei Dshigitovka. Tänzer können sich sehr gut präsentieren“, erklärt Herr Kanukov. Als Chef der Truppe stellt er an Dschigiten hohe Anforderungen: „Einen Reiter, der während der Vorstellung nur auf eins bedacht ist: sich im Sattel zu halten, brauche ich nicht. Dort oben auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes soll er Ausstrahlung haben, er muss das Publikum in seinen Bann ziehen können, und nicht nur die Zuschauer sondern auch die Pferde an dem faszinierenden Schauspiel Spaß haben lassen.“
Ist der Leiter von „Iriston“ auch so anspruchsvoll beim Aussuchen von Rasse der Dshigit-Pferde? Makharbek lächelt breit, seine Augen sprühen Funken: „Wäre es mir möglich, versammelte ich am liebsten alle Pferde der Welt und drückte sie an meine Brust.“ Seine Hengste sucht er sich nicht nach der Rasse aus. „Es ist oft so, dass gerade die nicht reinrassigen Pferde mit sehr viel Hingabe trainieren, ihre ganze Energie und Kraft auf das Training und die Auftritte konzentrieren. Man sieht ihnen den Wunsch auftreten zu wollen direkt an. Warum soll man Pferde, die solch ein Engagement zeigen, nicht auftreten lassen? Mann soll aber schon auf die Größe der Pferde achten. Besonders eignen sich Pferde mittlerer Größe. Den großen Pferden mit einer Schulterhöhe von 170-180 cm ist es sehr schwer in der kleinen Manege Galopp zu reiten. Die Pferde galoppieren in einer Manege mit Durchmesser von knapp 13 Metern und einer Geschwindigkeit von circa 27 Kilometer pro Stunde.
Sein Sohn Murat ist „im Sattel geborener“. Er reitet sehr gern ohne Sattel und ohne Trense in der Natur, wo er mit den Pferden Kommunizieren und Spielen kann. „Während der Show aber muss der Reiter die Sicherheit der Zuschauer gewährleisten können, deshalb sind ein Geschirr und eine Gerte obligatorische Elemente“, sagt Murat. Beim täglichen Training gibt der Trainer mit Hilfe eines Peitschenknalls einen nötigen Takt an, den das Pferd bei der Geräuschkulisse eines vollen Zuschauersaals erkennen muss um, sich darauf konzentrieren und alle anderen beunruhigenden Geräusche ignorieren zu können.
Herr Kanukov ist vollkommen davon überzeugt, dass das Pferd und der Reiter in der Manege in einer wechselseitigen Abhängigkeit zueinander stehen. „Das Tier muss nicht nur verstehen können, was von ihm verlangt wird, sondern es mir auch erlauben, die ganzen Figuren und Tricks auf seinem Rücken durchzuführen“, sagt Herr Kanukov.
Für wen ist die Belastung höher: Reiter oder Pferd? Herr Kanukov antwortet blitzschnell: „Natürlich für das Pferd.“ Die Dshigit-Gruppe hat pro Tag zwei-drei Shows mit sehr komplizierter und gewagter Choreografie, bei der sowohl die Pferde als auch die Reiter – voll an ihre Grenzen gehen. Der Reiter kann seine Kräfte auf alle drei Auftritte verteilen, das Pferd gibt all seine Kräfte in jeder einzelnen Vorstellung hin. Es wird alles Mögliche von Makharbek Kanukov und den Reitern versucht, um die Pferderücken zu entlasten: das Gewicht der Reiter wird durch Sondersatteln bei den Figuren zum Teil auf die Reiter selbst übertragen. Die Dshigite sind in der Regel nicht groß, etwa 170 cm, und zwischen 50 und 65 kg schwer. Der Chef der Truppe stimmt mit Dr. med. vet. Dominik Burger, dem Chefarzt von Avenches, vollkommen überein: „Fast alles kann von einem Pferd erwartet werden, wenn es gesund ist und nichts erzwungen wird“.
Die Zeit ist gekommen für die Truppe die Manege zu betreten. Einsam steht der 18-jährige Vavilon auf einem von vielen Freikoppeln neben den großen Einzelboxen. Das Pferd sieht kurze Zeit zu Makharbek, dann zu Murat und geht los, sehr langsam und nicht im Kreis. „Pferde auf einer Weide oder auf einem Koppel, egal ob grasend oder sich bewegend, laufen in sämtliche Richtungen und niemals nur in eine und die selbe Richtung“, sagt Herr Kanukov, dem Hengst hinter herschauend. Damit das Pferd ständig im Kreis galoppiert, muss ihm der Trainer präzise Anweisungen geben oder es kann sich ausschließlich auf einem beschrankten Platz bewegen, oder das Tier befindet sich in einer außerordentlichen psychischen Stresssituation. „Es hängt jedoch von den Menschen und nicht von den Circussen ab“, führt Murat das Gespräch zu Ende.
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